Missbrauchst du deine Macht über dein Pferd?

Ein Pferd zu halten bedeutet auch immer sein Verhalten, aber auch seine Gefühle und Gedanken zu beeinflussen. Durch unsere Überlegenheit im logischen Denken, aber auch Hilfsmittel wie Zäune, Leckerchen, Gerten, Halfter usw. haben wir die Möglichkeiten und die Macht für eine Beeinflussung dieser starken Tiere.

 

Besonders große Motivation, es zu beeinflussen, haben wir, wenn es „Problemverhalten“ zeigt, wie Schnappen, nicht auf den Hänger gehen oder sich nicht einfangen lassen.

 

 

Macht kann leicht missbraucht werden und genau dies ist schon oft geschehen. Machtmissbrauch führt dazu, dass sich diejenigen, über die die Macht ausgeübt wird, sich ungerecht und unfair behandelt fühlen. Das geht nicht nur Menschen so, sondern auch den Pferden.

 

 

Der Missbrauch von Macht ist daher zu allererst dem- oder derjenigen bewusst, der/ die Opfer davon ist. Warum es dem Täter/ der Täterin nicht so schnell auffällt und er/ sie evtl. sogar über lange Zeit seine Macht missbräuchlich einsetzt ist ganz einfach: Er/ sie hat seinen/ ihren Nutzen davon.

 

Und genau hier liegt der Unterschied zwischen gutem Einsatz von Macht und Machtmissbrauch: Mit welcher Absicht wird die Macht ausgeübt?

 

 

 

Dazu kannst du dir folgende Frage stellen:

 

Wenn ich mein Pferd beeinflusse, wer hat dann einen Nutzen davon?

 

 

 

Beeinflusse ich es aus Eigennutz?

 

Zur Verdeutlichung möchte ich ein konkretes Beispiel heranziehen: Sobald eine Situation stressig wird, fängt mein Pferd an zu schnappen.

 

Eine Eigennützige Handlung wäre bei so einem Verhalten, das Pferd daran zu hindern, mich zu verletzen. Da ich nur den Anspruch habe, dass es mir selbst einen Nutzen verschafft, ist auch die Androhung oder Ausübung von Schmerz eine naheliegende Wahl. Dass damit nur der Eigennutzen verfolgt wird, wird oft damit gerechtfertigt, dass man sich ja verteidigen muss. Das Pferd ist ja der Angreifer.

 

Sicherlich gibt es Situationen, wo keine andere als eine rein eigennützige Lösung (insbesondere in brenzlichen Situationen) gefunden werden kann, doch meistens kann der Mensch mit seiner Fähigkeit zum logischen Denken und etwas Kreativität auch andere Lösungen finden.

 

 

Versuche ich die Beeinflussung zu vermeiden?

 

Wer den anderen beeinflussen kann, übernimmt in diesem Moment die Führung. Das Pferd möchte sein Umfeld und auch die Menschen mit seinem Verhalten so beeinflussen, dass es möglichst hilfreich für das Pferd ist. Schnappen kann z.B. den Nutzen haben, dem Menschen etwas mitzuteilen. Das Pferd möchte damit Stress abbauen/ mitteilen. Evtl. entsteht dieser durch Überforderung oder Schmerz. In diesem Fall wäre Nichtstun, sich beißen lassen und das sich das nächste Mal vom Pferd fernhalten etwas, das aus Sicht des Pferdes nützt. Es verteidigt sich ja nur gegen den Menschen. Doch ich kann verstehen, wenn einige mit diesem Handeln nicht ganz einverstanden sind. Ganz davon abgesehen, dass Pferde eher kurzfristige Lösungen anstreben und der Mensch ihm evtl. eine auf Dauer nützlichere Lösung anbieten kann, statt aus Angst vor Machtmissbrauch, das Pferd gar nicht zu beeinflussen.

 

 

Beeinflusse ich es, weil es meinem Pferd und mir nützt?

 

Hier ist nun die Kreativität gefragt. Die Handlung zu finden, die dem Pferd und dir gleichzeitig nutzt, ist nicht unbedingt leicht zu finden. Dafür musst zu dir über folgende Dinge bewusst sein:

 

-          Was nützt meinem Pferd? Was braucht mein Pferd und wie kann ich ihm das geben?

 

-          Was nützt mir? Was brauche ich? Wie kann ich für mein Bedürfnis sorgen?

 

-          Und dann: Wie kann ich dieses Bedürfnis mit den Bedürfnissen meines Pferdes verbinden?

 

Das ist manchmal gar nicht so einfach. Wir sind oft sehr gefangen in unserer menschlichen Perspektive auf die Dinge und sind schnell dabei, Argumente zu finden, warum das, was uns selbst nützt auch für andere gut sei. Hier sind die Fähigkeiten der Empathie und der kritischen Selbstreflexion gefragt, um herauszufinden, was Pferde tatsächlich brauchen. Manchmal (oder auch was öfter) ist es nämlich nicht das, was man in der Reitschule gelernt hat. Um der Wahrheit etwas näher zu kommen, muss man sich auf den niemals endenden Weg machen, Informationen über sein Pferd aus verschiedenen Quellen und vor allem von ihm selbst zu sammeln.

 

Noch einmal zurück zum Beispiel: Nehmen wir an, das Pferd Schnappt, um Stress abzubauen. Sein Bedürfnis ist also Stress-Vermeidung bzw. Entspannung. Mein Bedürfnis wäre nicht gebissen zu werden. Für eine kreative Lösung muss ich eine Meta-Perspektive auf die Situation einnehmen und analysieren, wie es zum Schnappen bzw. Stress für das Pferd kommt. Erste Fragen können sein: Was verursacht den Stress und wie kann ich schon frühzeitig Stress erkennen, um das Schnappen zu vermeiden? Wenn es z.B. an Schmerzen liegt, kann man gegen diese vorgehen, womit dem Pferd längerfristig mehr geholfen ist, als es mit seinem Lösungsansatz, den Menschen von sich fern zu halten, erreicht hätte. Der Mensch kann also, wenn er die Absicht hinter dem Verhalten erkennt, dem Pferd helfen neue und nützlichere Lösungswege zu finden, auch wenn das Pferd diese durch sein begrenztes Denken von allein nicht in Erwägung ziehen würde/kann.

 

 

Statt einer Kurzschluss-Re-Aktion, die ohne großes Überlegen und nur mit kurzfristigem Erfolg, den Eigennutzen vertritt oder keiner Aktion, also einem Über-sich-ergehen-lassen, können wir als Menschen bewusst und kreativ agieren. Dazu müssen wir uns immer weiter Fragen stellen und Antworten suchen. Nur so können wir herausfinden, wie wir unsere Macht zum Wohle aller einsetzen können, statt sie zu missbrauchen.

 

 

„Liebe ist nicht, jemandem zu geben, was man selbst braucht,

sondern sich die Mühe zu machen, herauszufinden, was der andere braucht.“

– Kira Klein